"DE ZWARTE HEMEL" :

DER SCHWARZE HIMMEL

 Es war im Oktober 2000. Ein sonniger Oktober mit gelben und roten Wäldern in Ungarn, mit den roten Beerenbüscheln der Ebereschen und den orange-roten Beerendolden des Feuerdorns. Im Rahmen des Multiple-Particle-Symposiums in Tihany am ‚Lake Balaton‘, bei dem ich als offizielle Konferenz-Fotografin/ Grafikerin eingeladen war, besuchten wir Physiker-Gattinnen das liebliche Städtchen Veszprem, berühmt für seine wunderbaren Konditoreien, aber auch für einen geschichtsträchtigen Stadtkern. Erst die Besichtigung, beschlossen wir, dann die Torten. Wir wanderten in die hügelig-winkelige Altstadt. Beim dritten, malerisch verfallenen Gebäude bedauerte ich bereits, die ‚ver-kehrte‘ Kamera (schussbereit mit dem schwarz-weiß-Konferenz-Film) mitzuhaben und nicht meine A-1-Canon mit dem bunten Dia-Film. Ach, tant pis, warum soll man auch überall fotografieren... 

 

Wir stiegen auf einen schmalen, hohen Turm, der übriggeblieben war nach einer Feuersbrunst. Die dazugehörige Moschee  aus der Türkenzeit war verbrannt, der Turm diente nunmehr als Feuerturm. Von da oben blickten wir hinunter auf einen Garten voller Feuerdorn in brennenden Farben. Zwischen den Büschen fiel mir sofort eine Art Kreuz auf, das mich faszinierte. Die Damen sahen mich erstaunt an, was fände ich denn so toll an diesem verbeulten Gestänge-Gehänge? Nun, sie kannten mich kaum. Sie wussten nicht, dass ich auf Schritt und Tritt Kreuzformen zu begegnen pflege und dass ich zu Ostern dieses Jahres 2000 meine erste CROSSES & CROSSINGS-Ausstellung in der St.Jakobskapelle (Nijmegen, Holland) präsentiert hatte.

  

Schon war ich unten im Garten, der zu einem kleinen Museum gehörte. Hier im grünen Gras stand es, das ‚Kreuz‘, mannshoch. Es war eine Bronze-Statue, ohne Angabe des Künstlers. Flehenden Auges lieh ich mir den Fotoapparat von Lea, um dieses berührende Denkmal für den Unbekannten Soldaten (so sah ich es zumindest) ‚festhalten‘ zu können. Zwei Monate später schickte Lea mir das Bild, 9x13cm klein, ein bisschen blass. Wegen der laufenden Vorbereitungsarbeiten für die zweite CROSSES & CROSSINGS-Ausstellung - diesmal im Dom von Utrecht – wusste ich sofort, was ich ‚zu tun hatte‘:  ich kopierte das Foto auf 200 %, schnitt die reine Kreuzform aus, wobei ich ein paar Reste des Feuerdorns rund um die ‚durchlöcherte‘ Soldatenuniform als kleine rote Punkte beließ. Für den Utrechter Dom machte ich zunächst nur ein Schwarz-Weiß-Bild mit schwarzem Hintergrund: das wurde mein ‚Het Kruis van de Zwarte Hemel‘.

 

Ein Jahr später, als ich an dem Künstlerhaus-Projekt ‚Transgression‘ arbeitete, bei dem ‚der Übergang von Fotografie zu einer anderen künstlerischen Disziplin‘ (Skulptur, Malerei usw.) visualisiert werden sollte, kam ich darauf zurück, kopierte das ungarische ‚Kreuz in Menschenform‘ wieder farbig bzw. auf verschiedenfarbige Papiere, immer gleich groß, schnitt es jeweils aus - die Finger begannen schon zu versagen - , so viele-viele Male schnipselte ich an dem Umriss des Kreuzes, auch als Form schlechthin auf braunem Karton oder aus grünlichem Müllsack-Plastik (unmöglich zu verleimen!!). Mein Tisch lag voller Soldaten-Uniformen. 

 

Wieviele sollten es sein? Ich zählte. Eine neue Skulptur wollte ich aufbauen. Vorsichtig stapelte ich meine Papierfiguren. Hundert waren mir zu wenig. Plötzlich wusste ich es: dies wird das ‚Kreuz der einhundertundsiebzehn Gefallenen‘ – hundert für ‚viele‘ und siebzehn für die blutjungen Siebzehnjährigen, die in den Krieg gejagt wurden, Kinder noch, Kanonenfutter. War es eine deutsche Uniform, die ich in Ungarn gefunden hatte? War es ‚die Uniform schlechthin‘? Ich verleimte die einzelnen Teile, wobei ich die aus grünem Plastik geschnittenen Figuren erst mit schwarzem Zwirn aneinandernähte, den Faden absichtlich etwas heraushängen lassend, als letztes eine Kartonform darunternähend, damit auf diese Art alles gut zu verkleben/verleimen war. Es wurde ein ‚Objekt‘ 23x18x2cm. Das schob ich unter meine Buchbinde-Presse.

  

Lange habe ich auf Nachricht von meinem ungarischen Physiker-Freund Sandor gewartet, den ich um Nach-forschungen nach dem Namen des Künstlers gebeten hatte. Sandor konnte mir nicht helfen: die Statue sei bald nach unserem damaligen Besuch entfernt worden, sie wäre nur kurz im Rahmen einer Ausstellung dort aufgestellt gewesen. Der Name des Bildhauers sei nicht zu eruieren. Ein ‚Unbekannter Soldat‘ von einem ‚Unbekannten Künstler‘? Von mir als neues Mahnmal zu einer engelhaften Schattenfigur verarbeitet, ‚die zum Himmel aufsteigt‘, hinauf in einen tiefschwarzen Himmel...? Vielleicht höre ich jetzt von ihm, wenn ich diese Arbeit ins Netz stelle?

  

Im Rahmen meiner CROSSES & CROSSINGS-Ausstellungen habe ich diese ‚Menschenscheuche’ oft gezeigt. Immer wieder zur ‚dodenherdenking‘, dem Memorial Day.

 

Und wieder leuchtet der Feuerdorn.